Kirchen (Headerbild)

Geschichte

Bilder aus Schwartaus Vergangenheit

Zwei alte Baudenkmäler an der Eutiner Straße, der Große Krug und die Kapelle, bilden die Reste eines ehemaligen Gebäudekomplexes, der sich um das sogenannte „Siechenhaus“ arrangierte, eine Einrichtung, die jahrhundertelang eine Stätte des Grauens und Leidens war. Im Mittelalter wütete in Deutschland eine aus dem Orient eingeschleppte schlimme Krankheit, die Lepra. Es war eine Hautkrankheit, die zunächst nur harmlose weiße Flecken bildete, sich dann aber tief in den Körper einfraß und langsam ganze Gliedmaßen zum Absterben brachte. Erbarmungslos waren die Betroffenen einem qualvollen Tod preisgegeben. Da die Lepra überdies als ansteckend galt, wurden die Erkrankten schon früh von den Angehörigen abgesondert, indem man sie in Wäldern oder einsamen Feldhütten „aussetzte“.

Diese harte Maßnahme bedeutete jedoch kein unehrenhaftes Verstoßensein der Kranken. Im Gegenteil, man nannte sie die „Ruten Leute“ oder „Gottes Sieche“, um kundzutun, dass man sie für Auserwählte Gottes hielt, die wegen ihrer irdischen Leiden um so größere himmlische Freuden erwarten durften. Deshalb nahm sich auch die Kirche ihrer besonders teilnahmsvoll an und veranlasste in vielen Städten die Gründung von Siechenhäusern.

In Lübeck, das damals als führende Handelsstadt viel fremden Zulauf hatte und dadurch besonders gefährdet war, entstanden sogar mehrere: in Travemünde, Grönau und Schwartau. Sie lagen alle drei weitab von der Stadt, aber auffälligerweise nicht in der Einsamkeit, sondern an vielbefahrenen Landstraßen. Offenbar erwartete man von den vorüber ziehenden Handelsleuten besonderes Mitgefühl und – gute Spenden.

Das Schwartauer Siechenhaus wurde von dem Bischof Johann von Diest (1254-1259) gegründet, und zwar war es gedacht für je „zwölf sieche Schwestern und Brüder“. In einer Urkunde von 1260 sind uns die streng klösterlichen Regeln überliefert, nach denen die Leprakranken im Siechenhaus zu leben hatten. Vor allem war ihnen auferlegt, sich bei Tag und Nacht alle drei Stunden zusammenzufinden, um eine genau vorgeschriebenen Zahl an „Vaterunser“ und „Ave Maria“ zu beten (täglich 158) – sowohl für das eigene Seelenheil als auch für das der bereits verstorbenen Siechen.

Gelegenheit zu körperlicher Betätigung fanden die Schwestern und Brüder im Riesebusch, wo sie im Laufe der Zeit die große Fläche des heutigen Sportplatzes rodeten und in Ackerland verwandelten. Ebenso kultivierten sie ein Waldstück „nach Rensefeld zu“ (wahrscheinlich das heutige Gebiet zwischen Eutiner Straße – Markt und Schnoorstraße – Fünfhausen).

Nebenher erfreuten sich die Siechen reichlicher Schenkungen an Geld, so dass sie bereits 1266 zwei Bauernhufen in Rensefeld käuflich erwerben konnten. Auch regelmäßige Mehllieferungen aus bischöflichen Mühlen wurden ihnen zuteil und der mildtätige Heinrich von Iserlohn aus Lübeck schenkte ihnen anderthalb Bauernhufe im Dorfe Villebeke.

Im übrigen aber war das Los der Siechenhausleute wenig beneidenswert. Sie galten als „bürgerlich tot“.

Schon vor ihrem Eintritt ins Siechenhaus hatten sie in der Rensefelder Kirche ihre eigene Totenmesse erlebt, ja sogar ihre eigene „symbolische Beerdigung“ über sich ergehen lassen müssen. Und seitdem trugen sie ein Siechenkleid, das sie schon von weitem als „Aussätzige“ kenntlich machte.

Nach Verlauf einiger Jahrhunderte wurde es stiller um das Siechenhaus. Die Lepra war scheinbar abgeklungen, und in der Reformationszeit entwickelte sich aus dem Siechenhaus langsam ein Armenhaus, dessen Unterhalt weiterhin aus Zinsen, Pachtgeldern und Spenden bestritten wurde. Eine gute Einnahmequelle waren inzwischen auch der Große Krug und der Siechenkrug geworden. Dieser Zustand dauerte bis zum Jahre 1803, als Lübeck sowohl die ganze Siechenhausstiftung als auch die Schwartauer Mühle an den Eutiner Fürstbischof abtreten musste.

Damit war das Schicksal des Siechenhauses besiegelt. Eutin zeigte wenig Neigung, etwas für den Fortbestand der fast 600-jährigen Einrichtung zu tun. Die Gebäude verfielen zusehends, und als 1823 Hinrich Burmeister, der letzte Armenhausinsasse, starb, wurde ein Jahr später das Siechenhaus selber auf Abbruch verkauft. Etwas länger hielt sich das sogenannte Siechenmeisterhaus. Hier wurden sogar vorübergehend noch wieder Arme und Obdachlose untergebracht. Erst nachdem 1862 durch den Bau der heutigen Schwartauer Volksschule das alte Schulgebäude in der Auguststraße als Armenhaus Verwendung gefunden hatte, schlug dem Siechenmeisterhaus die Stunde. Es wurde an den Musikus Jäde verkauft, der es zu einem Wohnhaus umbaute.

So schritt die Zeit über ein altes Werk dahin, das nur im mittelalterlichen Geist und Glauben hatte wachsen und gedeihen können. Aber sein schönstes Wahrzeichen blieb vom Untergang verschont und steht noch heute: die alte Siechenkapelle an der Eutiner Straße.

Schon früh hatten die Siechenhausleute Erlaubnis erhalten, einen eigenen Priester zu halten, und um 1280 scheint die erste Kapelle erbaut zu sein, auf deren Grundmauern dann 1508 der heutige gotische Bau errichtet wurde, wahrscheinlich als Stiftung reicher Lübecker Bürgerfamilien.

Die Nachrichten über die Kapelle aus der Zeit nach der Reformation sind spärlich. Als dann nach 1800 der Verfall des Siechenhauses einsetzte, begann auch für die Kapelle eine trübe Zeit. Sie wurde so baufällig, dass sie für den Gottesdienst geschlossen werden musste.

1838 plante man, sie als Armenhaus zu verwenden, etwas später wurde sie „Suppenanstalt“ für Bedürftige und danach Weinlager der Firma Tesdorpf in Lübeck. 1888 endlich wurde sie von der Gemeinde Schwartau übernommen, und mit Hilfe Schwartauer Bürger erfuhr sie nun ihre erste Wiederherstellung. Aber bereits um 1900 wurde es wieder merklich still um die Kapelle, nur gelegentlich fand sie für gottesdienstliche Handlungen Verwendung (ab 1914 Kriegsandachten unter Pastor Zietz). Erst 1937 ergab sich dann für sie die rechte Lösung dadurch, dass sie in den Besitz der Kirchengemeinde überging. Nach 1945 erhielt sie eine vorbildliche innere Ausgestaltung und bildet seitdem wieder einen Mittelpunkt kirchlichen Lebens wie einst vor 450 Jahren.

Max Steen

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